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Rafael Gamez
Vereinsmitglied
von links
Bild 1 | el intento| Öl
Bild 2 | canon de mercadeo | Öl
Bild 3 | toldos | Öl

Biographie

1950 in Esteli, Nicaragua geboren
1979 Abschluß eines Architekturstudiums an der UNAN, Managua
danach Arbeit als Architekt, Stadtplaner und im Bereich Grafikdesign für Druckerei,
Mitglied der Künstlergruppe "Tlapacalli" (Künstler aus der Region Las Segovias),
Seit 2003 Mitglied der "Turmgalerie e.V."

Laudatio zur Ausstellung Irdisches Manna (Auszug)

...Er hat konkrete Gründe, seine Kunst herzustellen. Besonders für Rafael Gamez ist typisch, nicht unbedingt die Harmonie oder ein Gleichgewicht der Dinge zu suchen. Er schaut den zahllosen Dramen ins Auge und findet eindringliche Bilder für sie.

Man kann mehrere Einflüsse erkennen, die er in seine Arbeit einlässt. Das entspricht auch seiner Biografie, die ihn von Nicaragua nach Deutschland geführt hat. Es ist einerseits so etwas wie die bildkünstlerische Sprache aus Nicaragua – wenn es die gibt. Es ist nicht so leicht in Worte zu fassen, wie sich der Umgang mit Farben, Formen und Motiven von unserer hiesigen Bildsprache unterscheidet. Aber es ist spürbar in klaren, nicht zu filigrane Formen, Farben mit Kraft und Signalwirkung.

Ebenso erkennt man in mehreren Bildern den Balanceakt zwischen gegenständlicher und abstrakter Malerei. In diesem Grenzbereich eröffnet er den Raum für eigene Deutungen und lässt uns die scheinbar konkreten Bilder auch als Produkte unserer Gedankenwelt erkennen.

Dabei verlassen die Bilder beinahe den Boden der Realität – sie stehen am Übergang zum Reich des Surrealen. Das schafft Gamez mit der Kombination mehrerer Motive, mit starken Motivanschnitten und einer Malweise, die bewusst Schärfen und Unschärfen einsetzt.

Die Bildinhalte seiner aktuellen Serie sind jedoch keineswegs surreal. Es sind die Märkte unserer Welt. Sie sind sehr konkret, nicht angedeutet, sondern eindeutig benannt. Die Motive sind uns geläufig. Wir kennen sie aus den Nachrichten, GEO Reportagen aus dem Fernsehen und aus Magazinen.

Die hiesigen Märkte erspart er uns weitgehend: Aldi, Penny und Lidl und wie sie alle heißen. Rafael Gamez führt uns in die Märkte anderer Weltgegenden: Nach Afrika, Asien, in die Wallstreet auf das Wasser. Ein weltweites Phänomen sind diese Märkte mit ihren Waren und Menschenmassen an Orten, die ohne die Anwesenheit des Marktes nicht existieren würden.

Hier geht es um den Austausch von Geld und Ware. Man versucht das zu erlangen, was man bisher nicht hatte. Eine Mahlzeit, ein Souvenir oder Rendite fürs Kapital. Am Markt suchen wir etwas, das wir dringend brauchen oder von dem wir wenigstens glauben dass wir es brauchen. Sicher ist es etwas, das unseren bisherigen Zustand verändern wird.
Aus dem Beschaffen der wenigen lebensnotwendigen Dinge ist für uns auch die Sucht nach immer mehr, eigentlich entbehrlichen Dingen, geworden. Es ist wie bei allen Dingen, die man übertreibt.

Merkwürdig schemenhaft wirken die Menschen auf Gamez Märkten. Man denkt an Bewegungsunschärfen, die bei fotografischen Langzeitbelichtungen entstehen. Ein Ausdruck von hoher Geschwindigkeit. Die feinen weißen Linien wirken aber ebenso wie Spinnweben, die ihr Opfer umfangen und bewegungsunfähig machen. Dieser Widerspruch zwischen Rasanz und Lähmung erzeugt eine besondere Spannung. Etwas stimmt nicht in diesen Märkten.
Und dann nennt Rafael Gamez die Ausstellung noch Irdisches Manna. Was meint er damit?

Das online Bibellexikon des Verein zur Verbreitung des Christlichen Glaubens e.V. erklärt, was Manna ist:
„Die Nahrung, die den Israeliten während der vierzig Jahre ihrer Wüstenwanderung auf so wunderbare Weise vom Himmel aus zugeführt wurde. Der Name bedeutet „Was ist das?", weil sie nicht wussten, was es war. Es fiel jeden Morgen außer am Sabbat und musste früh gesammelt werden, sonst zerschmolz es. Wurde es einen zweiten Tag aufbewahrt, brachte es Würmer hervor, außer bei der doppelten Menge, die am Tag vor dem Sabbat gesammelt wurde und die auch am nächsten Tag noch gut war.“
Mit diesem Bibelwissen lässt der Begriff Manna weitere Assoziationen zu: Zuerst fällt mir Nektar und Ambrosia ein – die unsterblich machende Nahrung der antiken Götter. Auch sie stand ohne Anstrengung und unbegrenzt zur Verfügung. Allerdings nur, wie auch später in der Bibel beschrieben, für einen auserwählten Personenkreis. Während die Götter des Olymp sich selbst am nächsten waren, sozusagen Selbstversorger, sorgt der biblische Gott nicht für sich, sondern für sein auserwähltes Volk indem er Manna schickte.
....
Nun kommt Rafael Gamez und teilt uns mit, dass es ihm hier um das irdische Manna geht. Das Manna Gottes kann es ja gar nicht sein, denn wir haben erfahren, dass dieses eine sehr geringe Haltbarkeit hat. Man kann kaum Handel damit treiben.
Seit der Vertreibung aus dem Paradies sind die Menschen Selbstversorger, bis auf die biblisch belegten oben zitierten Ausnahmen. Und es gelingt ihnen lokal ganz gut. Global eher schlecht als recht.
Der Bezug zur Religion, den Rafael Gamez uns hier eröffnet, bietet weitere Möglichkeiten des Nachdenkens. Wovon leben wir eigentlich?
Jeder muss, um seine Existenz zu sichern, etwas von sich hergeben. Dann bekommt er vom anderen, was er noch zum Leben braucht. Dieses Tauschprinzip ist uralt und schweißt uns Menschen zusammen. Denn auch das ist spürbar: haben wir keinen Bedarf, meiden wir den Markt....

Rolf Büttner