aktuelle Ausstellung
12. April - 8. Juni 2025
Heiße Luft
„Heiße Luft“ hat Gudrun Höritzsch diese Ausstellung genannt – und in diesem Titel schwingt schon vieles von dem mit, was unsere Zeit bestimmt. „Heiße Luft“ sagt man, wenn jemand etwas von sich gibt, dem man nicht vertrauen, auf den man sich nicht verlassen kann, wenn hehren Worten keine Taten folgen, wenn die Enttäuschung programmiert ist. Heiße Luft – das ist aber auch ganz einfach das, was die Worte bedeuten: eine aufgeheizte Atmosphäre, eine explosive Stimmung. Heiße Luft, das ist die Luft, die bald brennt, explodiert.
Was könnte unsere Zeit besser beschreiben?
Deutschland, der Westen, soll gerade „kriegstüchtig“ gemacht werden, täglich ist von Aufrüstung, Wiederbewaffnung die Rede. Staaten steigen reihenweise aus Abrüstungsverträgen und Waffenverbotsabkommen aus, die Rüstungsindustrie kann ihr Glück kaum fassen.
Die schöne neue kapitalistische Welt ist keine schöne heile Welt mehr – was sie ja auch noch nie war – sie liegt in Trümmern. Und dies spiegelt sich in den Bildern von Gudrun Höritzsch auf eine sehr künstlerisch reflektierte Weise wider, nachdenklich, assoziationsreich, mit gedämpftem Optimismus.
Man kann und darf und sollte zum Zustand der Welt und dessen Ursachen verschiedener Meinung sein, man sollte diese verschiedenen Meinungen sogar viel öfter und vorbehaltloser äußern, darüber streiten – ohne Verbote, außer jenen, die die Menschlichkeit gebietet, ohne Schaum vor dem Mund. Gudrun Höritzschs Bilder sind ein wunderbarer Beitrag dazu.
Ich hatte vor einiger Zeit das Glück, mit der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck sprechen zu dürfen, die vor zwei Jahren in Chemnitz den Internationalen Stefan-Heym-Literaturpreis erhielt. Über die Anlässe für ihre zumeist ganz ausgezeichneten Romane sagte sie: „Was meine eigenen Bücher angeht, fange ich immer bei konkreten Dingen an, die mir sehr nah und scheinbar sehr privat sind, bei Verlust, Liebe, Trauer, Angst – und stelle dann immer wieder fest, wie sehr der Weg eines Menschen durch die jeweiligen politischen Verhältnisse geprägt, manchmal sogar entschieden wird. Wir sind nun einmal Herdentiere. Selbst wo wir Teilnahme, Anteilnahme verweigern, steckt in unserer Verweigerung eine politische Haltung. Willkür, Manipulation, Heimatlosigkeit – diese Begriffe haben, wie jeder weiß, eine private ebenso wie eine gesellschaftliche Dimension.“
Ich musste bei diesen Sätzen sofort an die Bilder von Gudrun Höritzsch denken, die Sie hier in dieser Ausstellung sehen. Da ist zum einen dieses wunderbare vieltonige Leuchten der Farben, gemalt, gezeichnet, gedruckt, oft auch collagiert, gemeinsam in einem Bild. Linien, Flächen, Ornamente wie aus archaischen Mustern, uralten Felsenzeichnungen, Verzierungen an indigenen Kunst- und Gebrauchsstücken. Pflanzen und Tiere sind erkennbar, oft nicht in ihrer glücklichsten Verfassung, aber doch eine Schönheit erahnen lassend. Häuser, Gehäuse, die einmal Schutz bieten sollten, Schutz boten, deren Wände aber aufgerissen sind, leere Fensterhöhlen – „komm ins Offene, Freund“, könnte man mit Friedrich Hölderlin rufen, und ihm beim „Gang aufs Land“, nach Wilischthal zum Beispiel, folgen:
„Komm! ins Offene, Freund! zwar glänzt ein Weniges heute
Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes
Gipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng' und die Gassen und fast will
Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.
…
Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
Und von trunkener Stirn' höher Besinnen entspringt,
Mit der unsern zugleich des Himmels Blüte beginnen,
Und dem offenen Blick offen der Leuchtende sein …
Wir, so gut es gelang, haben das Unsre getan.“
„Wenn das Gewünschte wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst und gefunden das Wort“ … Gudrun Höritzsch findet Worte, aber vor allem findet sie Bilder für das, was scheint, als sei es „die bleierne Zeit“.
Denn in die leuchtend kontrastreichen Farben werfen sich die Titel der Bilder wie Fremdkörper, wie Schatten in einen lichtdurchfluteten Tag oder auch, um in Bildern dieser Monate zu belieben, wie Bomben in ohnehin schon aufgewühltes Land: Die Melancholie toter Fenster liegt über gezählten Tagen, Fluchtwege sind in Schieflage geraten, wie es uns gefällt, wurde etwas verheizt, unbekannte Flugobjekte beherrschen den Himmel, Zerstörung wächst aus dem Kokon, danach kein Traum, nur … dahinter blüht dunkelblumig die Wiese, dunkle Bilder, Blumen, Blasen und Brüche, ein weißes Band verödet eine blühende Landschaft, wir rollen und stürzen, zerstören die Erde Schicht um Schicht, als gäbe es kein Morgen, schweben mit dem Segel aus dem Wind, Kostbarkeiten bieten Zündstoff, die Schatten auf der Flucht, eingekreist vom Turm schwebend, finden wir uns hochstapelnd und bunt verkleidet bei einem konspirativen Treffen und erleben alles, was nicht greifbar ist zwischen Mauern und Zäunen, nur wenige Kostbarkeiten verbleiben. Der Seelenzirkus sendet eine Botschaft, die vom Himmel fällt, vielleicht ist es der Himmel selbst, der auf uns niederstürzt.
Die Worte wirken wie aus Sätzen, aus langen Gedanken gerissen, die sich vollständig nur in den Bildern selbst finden. Diese Bilder erzählen Geschichten und verweigern zugleich eine einfache Erzählung mit Anfang und Schluss, verständlichem Konflikt, in dem am Ende das Gute oder das Böse siegt. Diese Bilder und ihre Erzählungen stehen damit im Widerspruch zu den einfachen Wahrheiten, die uns die Politik in den vergangenen Jahren immer wieder vermitteln sollte. Es ist, als ob in diesen Bildern eine Welt, die in den vergangenen 30 Jahren aus den Fugen geraten ist, mühsam, aber doch auch phantasievoll und spielerisch danach sucht, wieder zusammengefügt zu werden. Und da kommt vieles zusammen: Die Jahre der Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit im Osten, die mit materieller Not einherging, die längst nicht ausgeglichenen Unterschiede in der Bezahlung, der Anerkennung von Lebenswegen zwischen Ost und West, Frauen und Männern, der Aufschwung, der immer auch VerliererInnen hatte und nie von Dauer war. Die Alternativlosigkeit der Corona-Maßnahmen, die erst jetzt in Frage gestellt werden, „das Boot ist voll“ als einfache Antwort auf die von der ersten Welt verursachten Flüchtlingsströme aus der sogenannten Dritten Welt. Aggressoren und Diktatoren, die an die Macht kamen, nicht selten durch Wahlen und hofiert von denen, die dennoch gute Geschäfte mit ihnen machten, die einfachen und komplizierten Antworten auf die Herausforderungen der vielen Kriege in der Welt, von denen wir einige gar nicht registrieren. Das Leid der Menschen, aber auch die Einfallslosigkeit der Weltgemeinschaft, sich um Frieden zu bemühen.
Es gibt keine einfachen Antworten, auch Gudrun Höritzschs poetisch-spröde Bildtitel sind eher Fragen. Wir müssen diese Frage nicht beantworten – aber es gut, dass diese Ausstellung sie ganz ohne erhobenen Zeigefinger und agitatorische Attitüde auslöst und dass sie eben nicht auf einfache Antworten zielt.
Dann es bleiben ja „Blumen, Blasen und Brüche“. Die Blumen als ein Zeichen der Hoffnung, als buntes Aufbäumen der Natur, die sich nicht damit abfinden will, dass wir sie nach und nach und sehenden Auges zerstören. Gudrun Höritzsch wird damit ihre Erfahrungen haben, kann sie doch an ihrem Wohnort im Tal der Wilisch in einem Ausschnitt dieser Natur sehen, wie sie sich verändert – zum Guten oder nicht so Guten.
Und es bleiben die Blasen, die wie letzte Lebenszeichen aus den steigenden Ozeanen blubbern, oder in denen sich Liebhaber einfacher und komplizierter Wahrheiten dieselben zuschieben können, „und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein“, womit wir dann zu den Brüchen kämen an den Knochen und in den Leben, nach denen nichts mehr bleibt, wie es war – aber das ist dann eine „Zeitenwende“ ganz anderer Art als die, von der der Bundeskanzler gesprochen hat – und mancher hat das durchaus als eine Drohung verstanden.
Gudrun Höritzsch, geboren in Karl-Marx-Stadt, Abendstudium an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden, lebt und arbeitet in Wilischthal, hat dort eine eigene Druckwerkstatt. Neben ihrer künstlerischen Arbeit hat sie in der Altenpflege und für den Denkmalschutz gearbeitet. Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen haben sie durch halb Europa geführt. Einige Male ist sie bei den „100 sächsischen Grafiken“ ausgezeichnet worden. Ihr ganz eigener und unverwechselbarer Stil – das Malen, Zeichnen, Drucken auf einem Grund, aber mit tausend Hintergründen, eine Bildsprache, die diesen Namen verdient, aber gerade deshalb nicht einfach zu übersetzen ist in die Sprache der Worte, die manchmal auch nur die Sprachlosigkeit verbirgt – dieses Werk ist neben eigenen Vorlieben für einen farbigen Expressionismus, der sich aber nicht ins völlig Abstrakte flüchten will, Erinnerungen an die Vielschichtigkeit eines Gerhard Altenbourg, vielleicht auch von den Zwängen und Verboten in der DDR geprägt, in der der Weg ins Offene, Ehrliche manchmal auch hinter Gittern enden konnte. Dafür waren Kunst und Literatur eine Art Ersatzmedien für Maulkörbe und die zensierte Presse in der öffentlichen Diskussion. Jetzt kann man malen, was man will – aber trifft und betrifft es uns noch? Ich hoffe es sehr – für die Kunst und für diese Ausstellung und für uns alle. Denn die Welt müsste kein einsamer, dunkler Ort sein – und das geht so:
Vielleicht war es im Januar
In einem schneelosen Winter
Die Straßen schmutzig, die Luft so klar
Wie selten. Fassaden und nichts dahinter.
Die Zeitung von gestern liegt ungelesen
Auf dem Hinterhof im Altpapier.
Die Postfrau fragt verzweifelt nach:
Sie wohnen doch noch hier?
Verboten ist es, Tränen zu weinen
Trotz aller Gründe zu trauern
Wer jetzt noch allein ist, bleibt immer allein
Und aus den Wänden werden Mauern.
Die stehen stumm am Straßenrand
Wie hinter geschlossenen Gardinen
Wir leben unerkannt Wand an Wand
Und schwimmen in der Straße der Ölsardinen.
In dieser Stadt, Madame, Sie wissen schon
Da spricht man nicht, da muss man schweigen
In dieser Stadt, mein Herr, der Kammerton
Geht auf eine endlose, einsame Reise.
In dieser Stadt, Monsieur, da lacht man nicht
Und wenn, dann hinter vorgehaltener Hand
In dieser Stadt, Madame, da brennt das Licht
Nachts nicht, und Fremde bleiben unerkannt.
In dieser Stadt, mein Herr, da sucht man nicht
Und es gibt nichts zu finden
In dieser Stadt, Madame, hält man Gericht
Nur über die fremden Sünden.
Die Stadt stirbt langsam wie ein wundes Tier
Bleib, wo du bist, geh fort von hier
Geh nicht, wenn alle gehen
Bleib da, geh weg und bleib bei dir.
Wir treffen uns hier für eine Kleiderprobe
Und um zu sagen: Ich will es so
Wir warten darauf, das Jahr zu ertränken
Und schreiben „Wo bist du?“ aufs Männerklo.
Das Schönste an der Einsamkeit:
Ein Stadtplan für die nächste Flucht
Verlegte Geburtstagskarten und
Neue Worte für die alte Sehnsucht.
Die Stadt hat heute geschlossen
Der Einkaufswagen bleibt leer
Das Geld kommt nicht mehr aus der Wand und
Wem etwas fehlt, der vermisst es mehr als sehr.
Es könnte so schön sein in dieser Stadt
Mit den Säufern am Supermarkt
Mit dem, der alles und der nichts hat
Mit den schweigenden Menschen im Park.
Es könnte so schön sein an diesem Ort
Wenn wir angekommen wären
Und wären geblieben und wären im Wort
Und würden uns um uns scheren.
Es könnte so schön sein in diesem Dorf
Mit den Kühen auf all den Weiden
Mit den Wunden, dem Schnaps und dem Schorf
Und den Märchen aus alten Zeiten.
Es könnte so schön sein auf dieser Erde
Mit schlafenden Grenzsoldaten
Mit Mittagsruhe und Ziegenherde
Und für jeden ein Sonntagsbraten.
Die Sommer sind immer heißer geworden
Der Herbst und die Herzen werden kälter
Der Süden kommt immer näher dem Norden
Und schuld sind wie immer wir selber.
In welchen Trümmern liegt unser Leben
Schon morgen kommt die Müllabfuhr
Wer hat wen und was wann aufgegeben
Wer singt noch mit im Klagechor?
Unser Boot hat viel zu kleine Segel
Für ein viel zu großes Meer
Der Kapitän ist von Bord gegangen
Und die Zukunft ist lange her.
Damit das nicht so bleibt – der Weg für die Zukunft bereitet und manchmal auch beleuchtet wird, dafür gibt es Ausstellungen wie diese.
Augustusburg, 12. April 2025
Matthias Zwarg
Zukunft und Vergangenheit
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Roland Buschmann
Uwe Schwarz
Prof. Roland Unger
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